Schule des Rades

Richard Wilhelm

I Ging · Das Buch der Wandlungen

Drittes Buch: Die Kommentare — Zweite Abteilung

I D E O G R A M M

50. Ding - Der Tiegel

Kernzeichen:Dui und Kiën
Die Herren des Zeichens sind die Sechs auf fünftem Platz und die obere Neun. Die dem Zeichen Tiegel zugrunde liegende Idee ist die Ernährung der Würdigen. Die Sechs auf fünftem Platz ehrt den Ehrwürdigen, der durch die obere Neun dargestellt wird. Das Bild ist davon genommen, wie die Ringe und Ohren des Tiegels ineinander passen.
Die Reihenfolge
Nichts gestaltet die Dinge so sehr um wie der Tiegel. Darum folgt darauf das Zeichen: der Tiegel.
Die Umgestaltungen des Tiegels sind einerseits die Veränderungen, die mit den Speisen durch das Kochen vor sich gehen, andererseits in übertragenem Sinn die umwälzenden Wirkungen, die von der Zusammenarbeit eines Fürsten und eines Weisen ausgehen.
Vermischte Zeichen
Der Tiegel bedeutet das Aufnehmen des Neuen.
Das Zeichen ist die Umkehrung des vorigen und zeigt auch sonst der Bedeutung nach eine Umschaltung. Während sich das Zeichen Umwälzung sozusagen mit der Revolution als solcher in ihrer negativen Seite beschäftigt, zeigt das Zeichen Tiegel die richtige Art der Neueinrichtung des gesellschaftlichen Lebens. Die beiden Zeichen sind in solcher Bewegung, dass ihre Wirkungen einander verstärken. Die Kernzeichen Kiën und Dui, die Metall bedeuten, vollenden die Idee des Tiegels als sakralen und feierlichen Gefäßes. Diese alten Bronzegefäße, wie sie noch jetzt gelegentlich ausgegraben werden, hingen von jeher mit den höchsten Äußerungen der Kultur zusammen.
Das Urteil
Der Tiegel. Erhabenes Heil. Gelingen.
Kommentar zur Entscheidung
Der Tiegel ist das Bild eines Gegenstandes. Indem man mit Holz ins Feuer dringt, werden die Speisen gekocht. Der Berufene kocht, um Gott dem Herrn zu opfern, und kocht Festgerichte, um Berufene und Würdige zu nähren.
Durch Sanftheit wird Ohr und Auge scharf und klar. Das Weiche schreitet und geht nach oben. Es erlangt die Mitte und findet Entsprechung beim Festen, darum gibt es erhabenes Gelingen.
Das ganze Zeichen mit der Reihenfolge seiner geteilten und ganzen Striche ist das Bild eines Tiegels von den Beinen bis zu den Tragringen. Unten das Zeichen Sun bedeutet Holz und Eindringen, oben Li bedeutet Feuer. Indem also Holz ins Feuer kommt, wird das Feuer zum Mahl unterhalten. Genau genommen werden die Speisen allerdings nicht im Tiegel gekocht, sondern in der Küche. Erst die fertig gekochten Speisen werden im Tiegel aufgetragen. Aber das Bild des Tiegels fasst den Gedanken der Zubereitung der Speisen auch in sich. Der Tiegel ist ein Gerät der Festfeiern, das nur bei Opfern und Festmählern gebraucht wurde – hier der Gegensatz zu Dsing, das die Ernährung der Volksmassen bedeutet. Zum Opfer für Gott bedarf es nur eines Opfertiers, denn nicht die Gabe, sondern die Gesinnung ist das wichtigste. Zur Bewirtung der Gäste bedarf es reichlicher Speisen und großer Freigebigkeit. Das obere Zeichen, Li, ist Auge, der fünfte Strich bedeutet die Ohren des Tiegels, dadurch wird das Bild von Auge und Ohr nahegelegt. Das untere Zeichen, Sun, ist das Sanfte, Anpassende. Dadurch werden Auge und Ohr klar (Eigenschaft des Zeichens Li) und scharf.
Das Weiche, das nach oben steigt, ist der Herr des Zeichens auf fünftem Platz, der zu dem starken Gehilfen, Neun auf zweitem Platz, im Verhältnis des Entsprechens steht, daher Erfolg hat.
Neun Tiegel waren im Altertum das Symbol der Königsherrschaft, daher das glückverheißende Orakelurteil.
Das Bild
Über dem Holz ist Feuer: das Bild des Tiegels.
So festigt der Edle durch Richtigmachung der Stellung das Schicksal.
Feuer über Holz ist nicht das Bild des Tiegels, sondern das Bild seines Gebrauchs. Das Feuer brennt dauernd, wenn darunter Holz ist. So muss das Leben auch dauernd brennend erhalten werden, dass es in den richtigen Verhältnissen bleibt, so dass die Quellen des Lebens dauernd fließen.
Dasselbe gilt natürlich auch vom Leben einer Gemeinschaft oder eines Staates. Auch hier müssen die Beziehungen und Stellungen so geregelt werden, dass die daraus entspringende Ordnung Dauer hat. So wird das Schicksal, durch das einem Hause die Herrschaft zufällt, gefestigt.

Die einzelnen Linien

Anfangs eine Sechs bedeutet:
  1. Ein Tiegel mit umgekippten Beinen.
    Fördernd zur Entfernung des Stockenden.
    Man nimmt eine Nebenfrau um ihres Sohns willen.
    Kein Makel.
  2. Ein Tiegel mit umgekippten Beinen. Das ist noch nicht verkehrt.
    Fördernd zur Entfernung des Stockenden, um dem Wertvollen folgen zu können.

Der untere Strich bedeutet die Beine des Tiegels. Da er schwach ist und am Anfang, so legt sich der Gedanke nahe, dass man vor dem Kochen den Tiegel erst umkehren muss, um die alten Reste daraus zu entfernen. Der Strich ist mit dem nächsten zentralen und starken Strich in räumlicher Verbindung, daher der Gedanke einer Nebenfrau (schwach und unten)*.

Neun auf zweitem Platz bedeutet:
  1. Im Tiegel ist Nahrung.
    Meine Genossen haben Neid,
    aber sie können mir nichts anhaben.
    Heil!
  2. Im Tiegel ist Nahrung:
    sei vorsichtig, wohin du gehst.
    Meine Genossen haben Neid: das ist endgültig kein Makel.

Der Strich ist fest und zentral, daher das Symbol des Inhalts des Tiegels. Der Strich bildet mit dem dritten und vierten zusammen eine Einheit. Aber er steht in der Beziehung des Entsprechens zum Herrn des Zeichens. Darum muss er seine eignen Wege gehen, die ihm durch diese Beziehungen vorgeschrieben sind. Daraus ergibt sich nun andererseits, dass diese beiden Striche – seine Genossen –, von denen er durch innere Beziehungen geschieden ist, ihn beneiden. Aber da er ganz frei von möglichen Verwicklungen ist und die starke Beziehung zum Herrn des Zeichens ihn deckt, braucht er nichts zu fürchten.

Neun auf drittem Platz bedeutet:
  1. Der Henkel des Tiegels ist verändert.
    Man ist behindert in seinem Wandel.
    Das Fett des Fasans wird nicht gegessen.
    Wenn erst der Regen fällt, dann erschöpft sich die Reue:
    Endlich kommt Heil.
  2. Der Henkel des Tiegels ist verändert. Er hat den Gedanken verfehlt.

Der Strich ist der unterste des oberen Kernzeichens Dui, dessen oberer Strich den Mund bedeutet. Man sollte also annehmen, dass der Inhalt, der durch das obere Zeichen Li, das einen Fasan bedeutet, bezeichnet ist, gegessen wird. Dies ist jedoch nicht der Fall. Der Tiegel ist nicht bewegbar, da der Henkel verändert ist. Das wird wohl nahegelegt dadurch, dass der dritte Strich, der an sich zu dem obersten, der die Tragringe darstellt, in Beziehung stünde, selber fest ist, daher die Tragringe nicht aufnehmen kann (vgl. dagegen Sechs auf fünftem Platz). Eine Aussicht ist für später vorhanden. Indem der Strich sich ändert, entsteht als unteres Zeichen und als oberes Kernzeichen Kan, das Regen bedeutet. Dadurch wird die Lage erleichtert. Die Stockung hört auf, die Bewegung führt zum Ziel.

Neun auf viertem Platz bedeutet:
  1. Der Tiegel bricht die Beine.
    Das Mahl des Fürsten wird verschüttet,
    und die Gestalt wird befleckt.
    Unheil!
  2. Das Mahl des Fürsten wird verschüttet.
    Wie kann man ihm da noch trauen?

Der Strich steht in Beziehung des Entsprechens zur Anfangssechs, die auf umgekippte Beine des Tiegels deutet. Während dort aber die Sache nicht schlimm ist, da noch keine Speise im Tiegel ist, ist die Sache hier bedenklich, da Speise im Tiegel ist. Es ist daher hier nicht ein einfaches Umkippen, sondern Abbrechen der Beine. Das Fürstenmahl wird verschüttet. Dem Platz entsprechend sollte Beziehung zum Herrn des Zeichens, Sechs auf fünftem Platz, da sein, und zwar die Beziehung des Zusammenhaltens bzw. Empfangens. Das wird aber gestört durch die Beziehung zur Anfangssechs. Das deutet auf eine Divergenz zwischen Charakter und Stellung, zwischen Wissen und Aspirationen, zwischen Kraft und Verantwortung, die unheilvoll ist.

Sechs auf fünftem Platz bedeutet:
  1. Der Tiegel hat gelbe Henkel, goldne Tragringe.
    Fördernd ist Beharrlichkeit.
  2. Die gelben Henkel des Tiegels sind zentral, um das Wirkliche aufzunehmen.

Der Strich ist zentral im oberen Zeichen Li, und zwar ist er die zentrale Linie des Zeichens Kun, die die gelbe Farbe hat. Die Tragringe sind aus Metall, weil das obere Kernzeichen Dui das Metall bedeutet. Die Tragringe (die bei altchinesischen Geräten in der Regel kettenförmig zusammenhängen) werden wohl durch den oberen starken Strich dargestellt. Der Henkel ist – im Gegensatz zur Neun auf drittem Platz – hohl, daher kann er die wirklichen, d. h. festen Tragringe aufnehmen und getragen werden. In der Symbolsprache bedeutet das sehr viel. Der Strich ist der Herr des Zeichens, er hat über sich einen Weisen (obere Neun), mit dem er durch Stellung und Ergänzung verbunden ist. Er ist hohl, daher imstande, die Kraft jenes Weisen, seine Lehren, in sich aufzunehmen; – Henkel (erl) ist dasselbe Zeichen wie Ohr. Dadurch kommt er voran.

Oben eine Neun bedeutet:
  1. Der Tiegel hat Nephritringe. Großes Heil!
    Nichts, das nicht fördernd wäre.
  2. Die Nephritringe auf oberstem Platz zeigen fest und weich in richtiger Ergänzung.

Es ist hier dieselbe Situation wie bei der Sechs auf fünftem Platz, nur hier vom Standpunkt des gebenden Weisen aus. Was bei der Sechs auf fünftem Platz als Metall in seiner Festigkeit erscheint, zeigt sich hier als Nephrit in seinem milden Glanze. Der Weise hat die Möglichkeit, seine Belehrung zu spenden, weil die Sechs auf fünftem Platz ihm mit der richtigen Empfänglichkeit entgegenkommt.

Anmerkung:
*Die Tiegel im alten China hatten drei oder vier Beine. Indem nun der geteilte Strich zu Anfang sozusagen nur mit zwei Punkten die Erde berührt, legt er den Gedanken eines umgekippten Tiegels nahe.