Schule des Rades
Richard Wilhelm
I Ging · Das Buch der Wandlungen
Vorrede zur ersten Ausgabe
Die Übersetzung des Buchs der Wandlungen geht nunmehr schon ins zehnte Jahr. Als nach der chinesischen Revolution Tsingtau der Aufenthaltsort einer Reihe der bedeutendsten chinesischen Gelehrten der alten Schule wurde, fand ich unter ihnen meinen verehrten Lehrer Lau Nai Süan, dem mich nicht nur eine tiefere Einführung in die Werke des Mong Dsï, in die Höhere Bildung
und Maß und Mitte
verdanke, sondern der mich auch zum erstenmal die Wunder des Buchs der Wandlungen erschloss. Wie bezaubert durchwanderte ich unter seiner kundigen Führung diese fremde und doch so vertraute Welt. Die Übersetzung entstand nach ausführlicher Besprechung des Textes. Aus dem Deutschen wurde ins Chinesische zurückübersetzt, und erst wenn man den Sinn des Textes restlos zur Darstellung gebracht hatte, konnte die Übersetzung als solche gelten. Mitten in diese Tätigkeit brach der Schrecken des Weltkriegs ein. Die chinesischen Gelehrten wurden nach allen Himmelsrichtungen verweht, und auch Herr Lau reiste nach Küfu, der Heimat des Kungtse, mit dessen Familie er verwandt war. Die Übersetzung des Buchs der Wandlungen blieb nun liegen, obwohl neben den Arbeiten des Chinesischen Roten Kreuzes, die ich während der Belagerung Tsingtaus zu leiten hatte, die Beschäftigung mit der alten chinesischen Weisheit keinen Tag ruhte. Merkwürdiges Zusammentreffen: draußen im Gelände las der japanische General Kamio in seinen Erholungspausen in den Werken des Mong Dsï, ich als Deutscher vertiefte mich in meinen freien Stunden in chinesische Weisheit. Am glücklichsten aber war ein alter Chinese, der in seine heiligen Bücher so versunken war, dass er auch durch eine Granate, die neben ihm niederging, nicht aus der Ruhe gebracht werden konnte. Er fasste nach ihr — sie war ein Blindgäger —, dann zog er die Hand zurück und sagte, sie sei sehr heiß, um sich dann seinen Büchern wieder zuzuwenden.
Tsingtau war erobert. Unter mancherlei anderen Arbeiten ließ sich auch wieder Zeit erübrigen für eingehende Übersetzungsarbeit. Aber der Lehrer, mit dem ich die Übersetzung begonnen hatte, war weit entfernt, und mir war es unmöglich, Tsingtau zu verlassen. Wie erfreut war ich daher, als mitten in meine Erwägungen hinein ein Brief von Herrn Lau kam, dass er bereit sei, die unterbrochene Lektüre mit mir fortzusetzen. Er kam, und die liegengebliebene Übersetzung wurde zu Ende gebracht. Es waren schöne Stunden innerer Erhebung, die ich mit dem alten Meister damals verlebte. Als die Übersetzung in den Hauptzügen vollendet war, rief mich das Schicksal nach Deutschland zurück. Der alte Meister schied unterdessen aus der Welt.
Habent sua fata libelli. In Deutschland schien ich so weit wie möglich entfernt von alter chinesischer Weisheit — wiewohl gar mancher Ratschlag aus dem geheimnisvollen Buch auch in Europa da und dort auf guten Boden fiel. Ich war daher freudig erstaunt, als ich dem Buch der Wandlungen, und zwar in einer wunderschönen Ausgabe, die ich in Peking tagelang in allen Buchhandlungen vergeblich gesucht hatte, in Friedenau im Hause eines lieben Freundes begegnete. Der Freund war zudem ein wirklich guter Freund und machte diese freudige Begegnung zu einem dauernden Besitz, indem er mir das Buch überließ, das mich seither um die halbe Welt auf mancher Reise begleitet hat.
Ich kam nach China zurück. Neue Aufgaben traten an mich heran. In Peking eröffnete sich eine ganz neue Welt mit andern Menschen und andern Interessen. Doch bot sich auch hier bald gar manche Förderung, und in den warmen Tagen eines Pekinger Sommers kam schließlich diese Arbeit zu Ende, die, wieder und wieder umgeschmolzen, nun endlich eine Form erlangt hat, die zwar noch lange nicht meinem Wunsche Genüge tut, aber doch so weit entwickelt ist, dass ich jetzt das Gefühl habe, sie hinaussenden zu können in die Welt. Möge denen, die die Übersetzung lesen, dieselbe Freude an wahrer Weisheit zuteil werden, die ich empfunden während meiner Arbeit.