Schule des Rades
Richard Wilhelm
I Ging · Das Buch der Wandlungen
Erstes Buch: Der Text — Zweite Abteilung
56. Lü - Der Wanderer
oben Li, das Haftende, das Feuer | |
unten Gen, das Stillehalten, der Berg |
Das Urteil
Dem Wanderer ist Beharrlichkeit von Heil.
Das Bild
So ist der Edle klar und vorsichtig in der Anwendung von
Strafen und verschleppt keine Streitigkeiten.
Die einzelnen Linien
Anfangs eine Sechs bedeutet:
- Wenn der Wanderer sich mit kleinlichen Dingen abgibt,
so zieht er sich dadurch Unglück zu.
Ein Wanderer darf sich nicht entwürdigen und sich mit gemeinen Dingen am Weg abgeben. Gerade je niedriger und wehrloser seine Stellung nach außen hin ist, desto mehr muss er innerlich seine Würde wahren. Denn wenn ein Fremder denkt, dadurch freundliche Aufnahme zu finden, dass er sich zu Scherzen und Lächerlichkeiten hergibt, so irrt er sich. Die Folgen sind nur Verachtung und beleidigende Behandlung.
Sechs auf zweitem Platz bedeutet:
- Der Wanderer kommt zur Herberge.
Er hat seinen Besitz bei sich.
Er erlangt eines jungen Dieners Beharrlichkeit.
Der Wanderer, der hier gezeichnet wird, ist bescheiden und zurückhaltend. Innerlich verliert er sich nicht selbst, darum findet er einen Ruheort. Nach außen hin verliert er nicht die Zuneigung der Menschen, darum fördern ihn alle, so dass er Besitz erwerben kann. Außerdem findet sich ein treuer und zuverlässiger Diener bei ihm ein, wie er für den Wanderer von unschätzbarem Wert ist.
Neun auf drittem Platz bedeutet:
- Dem Wanderer verbrennt seine Herberge.
Er verliert die Beharrlichkeit seines jungen Dieners.
Gefahr.
Ein gewalttätiger Fremder weiß sich nicht zu benehmen. Er mischt sich in Angelegenheiten und Streitigkeiten, die ihn nichts angehen. Dadurch verliert er seinen Ruheplatz. Er behandelt seinen Diener fremd und hochfahrend. Dadurch verliert er dessen Treue. Wenn man als Fremder niemand mehr hat, auf den man sich verlassen kann, so ist das sehr gefährlich.
Neun auf viertem Platz bedeutet:
- Der Wanderer ruht an einem Unterkunftsort.
Er erlangt seinen Besitz und eine Axt.
Mein Herz ist nicht froh.
Hier ist ein Wanderer gezeichnet, der sich äußerlich zu bescheiden versteht, obwohl er innerlich stark und vorwärtsdringend ist. Darum findet er wenigstens einen Unterkunftsort, an dem er weilen kann. Auch gelingt es ihm, Besitz zu erwerben. Aber er ist mit seinem Besitz nicht in Sicherheit. Er muss stets auf der Hut sein, bereit, sich mit bewaffneter Hand zu verteidigen. Darum fühlt er sich nicht wohl. Es kommt ihm dauernd zum Bewusstsein, dass er ein Fremder ist in einem fremdem Land.
Sechs auf fünftem Platz bedeutet:
- Er schießt einen Fasan, auf den ersten Pfeil fällt er.
Schließlich kommt dadurch Lob und Amt.
Die Staatsmänner auf Reisen pflegten sich bei den Fürsten durch das Geschenk eines Fasans einzuführen. Der Wanderer will hier in Fürstendienste treten. Er schießt zu diesem Zweck einen Fasan, den er beim ersten Schuss erlegt. So findet er Freunde, die ihn loben und empfehlen, und wird schließlich von dem Fürsten angenommen, der ihm ein Amt verleiht.
Oft kommen Verhältnisse vor, die einen veranlassen, in der Fremde seine Heimat zu suchen. Wenn man es versteht, die Lage zu treffen und sich in der rechten Weise einzuführen, so mag man einen Freundeskreis und Wirkungskreis auch in der Fremde finden.
Oben eine Neun bedeutet:
- Dem Vogel verbrennt sein Nest.
Der Wanderer lacht erst,
dann muss er klagen und weinen.
Er verliert die Kuh im Leichtsinn. Unheil!
Das Bild des Vogels, dem sein Nest verbrennt, zeigt den Verlust des Ruheorts. Wenn der Vogel beim Bau seines Nestes leichtsinnig und unvorsichtig war, so kann ihm dieses Unglück begegnen. So auch dem Wanderer. Wenn er sich gehen lässt in Scherz und Lachen und nicht mehr daran denkt, dass er ein Wanderer ist, so wird er später zu weinen und zu klagen haben. Denn wenn man im Leichtsinn seine Kuh, das ist seine bescheidene Anpassungsfähigkeit, verliert, so ist das vom Übel.