Schule des Rades
Richard Wilhelm
I Ging · Das Buch der Wandlungen
Erstes Buch: Der Text — Zweite Abteilung
64. We Dsi - Vor der Vollendung
oben Li, das Haftende, das Feuer | |
unten Kan, das Abgründige, das Wasser |
Das Urteil
Wenn aber der kleine Fuchs,
wenn er beinahe den Übergang vollendet hat,
mit dem Schwanz ins Wasser kommt,
dann ist nichts, das fördernd wäre.
Das Bild
das Bild des Zustands vor dem Übergang.
So ist der Edle vorsichtig in der Unterscheidung der
Dinge, damit jedes auf seinen Platz kommt.
Die einzelnen Linien
Anfangs eine Sechs bedeutet:
- Er kommt mit dem Schwanz ins Wasser.
Beschämend.
In Zeiten der Unordnung ist es verlockend, sich möglichst rasch vorzudrängen, um etwas Sichtbares zu leisten. Aber diese Begeisterung führt zu nichts als Misserfolg und Beschämung, solange die Zeit noch nicht gekommen ist, etwas zu wirken. In dieser Zeit ist es klug, wenn man sich durch Zurückhaltung den Schimpf des Misslingens erspart. (Man beachte den Unterschied der Situation vom ersten Strich des vorigen Zeichens.)
Neun auf zweitem Platz bedeutet:
- Er hemmt seine Räder.
Beharrlichkeit bringt Heil.
Auch hier ist die Zeit zum Handeln noch nicht gekommen. Aber die Geduld, die vonnöten ist, darf nicht ein träges Warten sein, das in den Tag hineinlebt. Das würde dauernd zu keinem Erfolg führen. Sondern man muss in sich die Kraft ausbilden, die einen befähigt voranzukommen. Man muss gleichsam einen Wagen haben, um den Übergang zu vollziehen. Aber man muss ihn noch hemmen. Geduld im höchsten Sinn ist gehemmte Kraft. Daher darf man nicht einschlafen und das Ziel aus dem Auge verlieren. Wenn man stark und beständig in seinem Entschluss bleibt, dann geht schließlich alles gut.
Sechs auf drittem Platz bedeutet:
- Vor der Vollendung bringt Angriff Unheil.
Fördernd ist es, das große Wasser zu durchqueren.
Die Zeit des Übergangs ist da. Aber man hat nicht die Kraft, den Übergang zu vollenden. Wollte man versuchen, ihn zu erzwingen, so wäre das unheilvoll eben weil dann der Zusammenbruch unvermeidlich wäre. Was ist aber zu tun? Man muss eine neue Lage schaffen, man muss die Kräfte tüchtiger Gehilfen heranziehen und mit ihnen gemeinsam den entscheidenden Schritt tun – das große Wasser durchqueren. Dann wird die Vollendung möglich werden.
Neun auf viertem Platz bedeutet:
- Beharrlichkeit bringt Heil. Reue schwindet.
Erschütterung, um das Teufelsland zu züchtigen.
Drei Jahre lang gibt es Belohnung mit großen Reichen.
Nun ist die Zeit des Kampfes. Der Übergang muss vollzogen werden. Man muss sich in seinem Entschluss ganz stark machen das bringt Heil. Alle Bedenken, die einem in solch ernsten Kampfzeiten aufsteigen können, müssen schweigen. Es gilt einen heißen Kampf, das Teufelsland, die Mächte des Zerfalls zu erschüttern und zu züchtigen. Aber der Kampf hat auch seinen Lohn. Jetzt ist die Zeit, Grundlagen der Macht und Herrschaft zu legen für die Zukunft.
Sechs auf fünftem Platz bedeutet:
- Beharrlichkeit bringt Heil. Keine Reue.
Das Licht des Edlen ist wahrhaftig.
Heil!
Der Sieg ist errungen. Die Kraft der Beständigkeit ist nicht zuschanden geworden. Es ist alles gut gegangen. Alle Bedenken sind überwunden. Der Erfolg hat die Tat gerechtfertigt. Aufs neue strahlt das Licht einer edlen Persönlichkeit und setzt sich durch unter Menschen, die daran glauben und sich darum sammeln. Die neue Zeit und mit ihr das Heil ist da. Und wie die Sonne nach dem Regen doppelt schön erstrahlt oder der Wald nach einem Brandt aus den verkohlten Trümmern mit vermehrter Frische grünt, so hebt sich die neue Zeit vom Elend der alten um So glänzender ab.
Oben eine Neun bedeutet:
- In wahrem Vertrauen trinkt man Wein.
Kein Makel. Wenn man aber sein Haupt naß macht,
so verliert man das in Wahrheit.
Vor der Vollendung an der Grenze der neuen Zeit ist man im vollen gegenseitigen Vertrauen mit den Seinen zusammen und verbringt die Zeit des Wartens beim Wein. Da die neue Zeit schon unmittelbar vor der Tür steht, ist das kein Makel. Nur muss man dabei auf das rechte Maß bedacht sein. Wenn man sich den Kopf im Übermut begießt, so verliert man die günstige Lage durch Unmäßigkeit.
Anmerkung:
Wie das Zeichen Nach der Vollendungden allmählichen Übergang aus der Zeit des Aufstiegs über die Kulturhöhe zur Stockungszeit darstellt, so stellt das Zeichen Vor der Vollendungden Übergang aus dem Chaos zur Ordnung dar. Dieses Zeichen steht am Ende des Buchs der Wandlungen. Es weist darauf hin, dass in jedem Ende ein neuer Anfang liegt. So gibt es den Menschen Hoffnung. Das Buch der Wandlungen ist ein Buch der Zukunft. |