Schule des Rades
Richard Wilhelm
I Ging · Das Buch der Wandlungen
Zweites Buch: Das Material — Da Dschuan — Die große Abhandlung
Kapitel 10
Der vierfache Gebrauch des Buchs der Wandlungen
Hier wird die Psychologie des Orakels gezeichnet. Der Orakelsuchende formuliert sein Anliegen genau in Worten und empfängt dann wie ein Echo ohne Rücksicht, ob es sich um Nahes oder Fernes, Geheimes oder Tiefes handelt, das passende Orakel, durch das er in den Stand gesetzt wird, die Zukunft zu erkennen. Es ist dabei gedacht, dass Bewusstes und Überbewusstes miteinander in Beziehung treten. Das Bewusste geht bis zur Formulierung. Beim Teilen der Stäbchen tritt das Unbewusste ein, und aus dieser Teilung ergibt sich dann, wenn man das Resultat mit dem Text des Buchs vergleicht, das Orakel.
Es ist viel über die Drei- und Fünfteilung gesprochen worden, und selbst Dschu Hi ist der Meinung, dass der Passus heute nicht mehr verständlich sei. Aber man darf nur Kapitel 9, § 3 zugrunde legen, zu dem wir hier eine nähere Ausführung haben, um einen Zusammenhang in den Text zu bringen. Die drei Verrichtungen
sind die Teilung in zwei Haufen und das Besondersstecken eines Stengels, um die drei Mächte nachzubilden
. Darauf werden die beiden Haufen je mit vier durchgezählt, weil in fünf Jahren zwei Schaltmonate sind
, damit erhält man 3 + 2 = 5 Verrichtungen, die eine Veränderung ergeben. So fährt man mit Teilungen und Vereinigung fort, bis man die Formen von Himmel und Erde vollendet
, d. h. zunächst eines der acht Zeichen, d. h. eine Kleine Vollendung
(vgl. Kap.9, § 7) erlangt. Man fährt dann fort, bis man den obersten, sechsten Strich erreicht hat und dadurch ein vollständiges Bild erhält, das sich jeweils aus zwei Urzeichen zusammensetzt.
Hier ist deutlich ausgesprochen, was in den Bemerkungen zu § 2 ausgeführt wurde.
Bemerkung: Die Verhältnisse des Buchs der Wandlungen können am besten verglichen werden mit dem Netzwerk einer elektrischen Leitung, die alle Verhältnisse durchdringt. Sie hat nur die Möglichkeit des Erleuchtens, aber leuchtet nicht. Indem dann durch den Fragenden der Kontakt mit einer bestimmten Situation hergestellt ist, wird der Strom erregt und die betreffende Situation erleuchtet. Ohne dass in einem der Kommentare dieses Bild gebraucht wäre, lässt sich dadurch mit wenigen Worten alles erläutern, was im Text gemeint ist.
Hier wird gezeigt, wie dadurch, dass das Buch der Wandlungen in die unterbewussten Gebiete hinabreicht, sowohl der Raum als die Zeit ausgeschaltet werden. Der Raum als Prinzip der Mannigfaltigkeit und Verwirrung wird überwunden durch die Tiefe, das Einfache; die Zeit als Prinzip der Ungewissheit wird überwunden durch das Leichte, Keimhafte.
Das Buch der Wandlungen enthält einen vierfachen SINN der Heiligen und Weisen, so ist das damit gemeint.
Es ist wohl anzunehmen, dass in § 1 ein Wort von Kungtse zugrundeliegt, das dann rhetorisch ausgeführt und hier nochmals zusammenfassend erwähnt ist.