Schule des Rades
Richard Wilhelm
I Ging · Das Buch der Wandlungen
Zweites Buch: Das Material — Da Dschuan — Die große Abhandlung
Kapitel 5
Erklärung einiger Linien aus dem Buch der Wandlungen
Wenn man aufgeregt hin und her denkt, so folgen nur die Freunde, auf die man bewusste Gedanken richtet.
Der Meister sprach: Was bedarf die Natur des Denkens und Sorgens? In der Natur kehrt alles zum gemeinsamen Ursprung und verteilt sich auf die verschiedenen Pfade; durch eine Wirkung wird die Frucht von hundert Gedanken verwirklicht. Was bedarf die Natur des Denkens, was des Sorgens?
In dieser Erklärung zur Neun auf viertem Platz des Zeichens Nr. 31, Hiën, die Einwirkung, (Buch III), wird eine Theorie der Macht des Unterbewussten gegeben. Die bewussten Wirkungen sind immer nur beschränkte, weil sie durch eine Absicht hervorgerufen werden. Die Natur kennt keine Absichten, und darum ist in ihr alles so groß. Auf der Einheitlichkeit des zugrunde liegenden Wesens beruht es, dass alle tausend Wege zu einem Ziel führen, das so vollkommen ist, als wäre es aufs genaueste durchdacht.
Es wird dann im Anschluss an den Lauf des Tages und Jahres gezeigt, wie Vergangenheit und Zukunft ineinander übergehen, wie Zusammenziehung und Ausdehnung die beiden Bewegungen sind, durch die die Vergangenheit die Zukunft vorbereitet und die Zukunft die Vergangenheit entfaltet.
In den beiden folgenden Paragraphen wird dann die Anwendung auf den Menschen gezogen, der durch höchste Konzentration sein inneres Wesen so steigert und festigt, dass objektive, geheimnisvolle Kraftströme von ihm ausgehen, so dass seine Wirkungen aus dem Unterbewussten hervorgehen und geheimnisvoll auf das Unterbewusstsein der andern wirken, so dass eine Breite und Tiefe der Wirkung erzielt wird, die über das Individuelle hinausgeht und in die kosmischen Erscheinungsformen übergeht.
Man lässt sich bedrängen durch Stein und stützt sich auf Dornen und Disteln. Man geht in sein Haus und sieht nicht seine Frau. Unheil!Der Meister sprach: Wenn jemand sich von etwas, das ihn nicht bedrängen sollte, bedrängen lässt, so wird sein Name sicher in Schande geraten. Wenn er sich auf Dinge stützt, auf die man sich nicht stützen kann, so wird sein Leben sicher in Gefahr geraten. Wer in Schande und Gefahr ist, dem naht die Todesstunde; wie kann er da noch seine Frau sehen?
Ein Beispiel für einen ungünstigen Spruch. Erklärung zu Nr. 47, Kun, die Erschöpfung, Sechs auf drittem Platz (Buch I).
Der Fürst schießt nach einem Habicht auf hoher Mauer. Er erlegt ihn. Alles ist fördernd.Der Meister sprach: Der Habicht ist der Zweck der Jagd. Bogen und Pfeil sind Werkzeuge und Mittel. Der Schütze ist der Mensch (der die Mittel zum Zweck richtig gebrauchen muss). Der Edle birgt die Mittel in seiner Person. Er wartet die Zeit ab, und dann handelt er. Wie sollte da nicht alles gut gehen? Er handelt und ist frei. Darum braucht er nur auszugehen und erlegt die Beute. So steht es mit einem Menschen, der handelt, nachdem er seine Mittel fertig hat.
Ein Beispiel eines günstigen Strichs. Erklärung zu Nr. 40, Hië, die Befreiung, obere Sechs (Buch I).
Steckt mit den Füßen im Block, dass die Zehen verschwinden. Kein Makel.
Ein Beispiel eines Strichs, der durch Reue zum Guten führt. Erklärung zu Nr. 21, Schï Ho, das Durchbeißen, Anfangsneun (Buch I).
In den Wandlungen heißt es:
Steckt mit dem Hals im hölzernen Kragen, dass die Ohren verschwinden. Unheil!
Ein Beispiel eines Strichs, der zeigt, wie man durch Beschämung zum Unheil geführt wird. Erklärung zu Nr. 21, Schï Ho, das Durchbeißen, obere Neun (Buch I).
Wenn es misslänge! Wenn es misslänge! Dadurch bindet er es an ein Bündel von Maulbeerstauden.
Ein Beispiel eines Strichs, der zeigt, wie man ohne Makel ist und dadurch Gelingen hat. Erklärung zu Nr. 12, Pi, die Stockung, Neun auf fünftem Platz (Buch I).
Der Tiegel bricht die Beine. Das Mahl des Fürsten wird verschüttet, und die Gestalt wird befleckt. Unheil!Das ist von jemand gesagt, der seiner Aufgabe nicht gewachsen ist.
Ein Beispiel eines Strichs, der zeigt, wie man Unheil hat, weil man den Verhältnissen nicht gewachsen ist. Erklärung zu Nr. 50, Ding, der Tiegel, Neun auf viertem Platz (Buch I).
In den Wandlungen heißt es:
Fest wie ein Stein. Kein ganzer Tag. Beharrlichkeit bringt Heil.
Fest wie ein Stein,
Wozu ein ganzer Tag?
Das Urteil kann man wissen.
Der Edle kennt Geheim- und Offenbares,
Er kennt das Schwache, kennt das Starke auch,
Drum schauen die Myriaden zu ihm auf.
Ein Beispiel eines Strichs, der zeigt, wie man durch Vorherwissen dem Unheil rechtzeitig zu entgehen vermag. Erklärung von Nr. 16, Yü, die Begeisterung, Sechs auf zweitem Platz (Buch I).
In den Wandlungen heißt es:
Wiederkehr aus geringer Entfernung. Es bedarf keiner Reue. Großes Heil!
Ein Beispiel eines Strichs, der zeigt, wie man aus den Ereignissen lernen kann. Yen Hui, von dem hier gesprochen wird, ist der Lieblingsjünger KUNGS, von dem auch in den Gesprächen gesagt ist, dass er nie einen Fehler wiederholt habe. Erklärung zu Nr. 24, Fu, die Wiederkehr, Anfangsneun (Buch III).
In den Wandlungen heißt es:
Wenn drei Menschen miteinander wandern, so vermindern sie sich um einen Menschen. Wenn ein Mensch wandert, so findet er seinen Gefährten.
Ein Beispiel eines Strichs, der günstig ist, durch Einheit. Erklärung zu Nr. 41, Sun, die Minderung, Sechs auf drittem Platz (Buch III).
In den Wandlungen heißt es:
Er gereicht niemand zur Mehrung. Es schlägt ihn wohl gar jemand. Er hält sein Herz nicht dauernd fest. Unheil!
Ein Beispiel eines Strichs, der zeigt, wie auf die Vorbereitung alles ankommt. Erklärung zu Nr. 42, I, die Mehrung, obere Neun (Buch I).