Schule des Rades

Richard Wilhelm

I Ging · Das Buch der Wandlungen

Zweites Buch: Das Material — Die Struktur der Zeichen

2. Die acht Grundzeichen und ihre Verwendung

Wie schon oben nachgewiesen, sind die vorliegenden sechstrichigen Zeichen dauernd als aus zwei Urzeichen zusammengesetzt zu denken — nicht etwa aus sechs einzelnen Linien. Diese Urzeichen kommen nun für die Deutung in Betracht nach den verschiedenen Seiten ihres Wesens: Einmal nach ihren Eigenschaften, dann nach ihren Bildern, dann nach ihrer Stellung im Familienzusammenhang (wobei durchgängig nur der des späteren Himmels in Betracht kommt).

Kiën, das Schöpferische, ist stark, ist der Himmel, der Vater
Kun, das Empfangende, ist hingebend, ist die Erde, die Mutter
Dschen, das Erregende, ist Bewegung, ist der
Donner oder das Holz
der älteste Sohn
Kan, das Abgründige, ist Gefahr, ist Wasser
oder Wolken,
der mittlere Sohn
Gen, das Stillehalten, ist Innehalten, ist der Berg, der jüngste Sohn
Sun, das Sanfte, ist Eindringen, ist der Wind
oder das Holz,
die älteste Tochter
Li, das Haftende, ist leuchtend oder bedingt,
ist die Sonne oder der Blitz,
das Feuer,
die mittlere Tochter
Dui, das Heitere, ist Freude, ist der See, die jüngste Tochter

Diese allgemeinen Bedeutungen müssen, namentlich wo es sich um die Erklärung der einzelnen Linien handelt, ergänzt werden durch die zunächst überflüssig erscheinenden Aufzählungen in der Besprechung der Zeichen (Kapitel 3).

Dabei kommt dann weiterhin die Stellung der Zeichen zueinander in Betracht. Das untere Zeichen ist unten, innen, hinten, das obere ist oben, außen, vorn. Die betonten Striche im oberen Zeichen werden immer als gehend, die betonten Striche des unteren Zeichens als kommend bezeichnet.

Aus diesen Bezeichnungen, die sich schon im Kommentar zur Entscheidung finden, wurde dann später ein System der Verwandlung der Zeichen ineinander konstruiert, das viele Verwirrung angerichtet hat. Da es nicht irgendwie für die Erklärung von Notwendigkeit ist, wurde hier vollkommen davon abgesehen. Ebenso wurde kein Gebrauch gemacht von den lauernden Zeichen, dass nämlich jedem Zeichen sein Gegensatz im geheimen mit zugrunde liegt, also dem Zeichen Kiën das Zeichen Kun, dem Zeichen Dschen das Zeichen Sun usw.

Dagegen ist ganz entschieden Gebrauch zu machen von den sogenannten Kernzeichen Hu Gua. Diese Kernzeichen bilden die mittleren vier Striche jedes Zeichens und greifen selbst wieder mit ihren beiden mittleren Strichen übereinander. Ein paar Beispiele machen das ohne weiteres klar.

Das Zeichen Li, das Haftende, Nr. 30 , hat als Kern­zei­chen­kom­plex die vier Striche Die beiden Kernzeichen sind: oben Dui, das Heitere , unten Sun das Sanfte .
Das Zeichen Dschung Fu, Innere Wahrheit, Nr. 61 , hat als Kern­zei­chen­kom­plex die vier Striche . Die beiden Kernzeichen sind: oben Gen, das Stillehalten , unten Dschen, das Erregende .
S T R U K T U RDie Struktur der Zeichen ergibt daher ein stufenweises Über­ein­an­der­greifen verschiedener Zeichen und ihrer Einflüsse.


Die Anfangs- und die obere Linie gehören demnach zu einem Zeichen (dem unteren bzw. oberen Urzeichen). Die zweite und die fünfte Linie gehören zu zwei Zeichen (dem unteren bzw. oberen Urzeichen und dem unteren bzw. oberen Kernzeichen). Die dritte und die vierte Linie gehören zu drei Zeichen (dem unteren bzw. oberen Urzeichen und beiden Kernzeichen). So ergibt sich für die erste und die oberste Linie ein gewisses Herausfallen aus dem Zusammenhang, für die zweite und die fünfte ein (meist günstiger) Gleich­ge­wichts­zu­stand, für die beiden mittleren Linien eine übereinandergreifende Bestimmung, die nur in besonders günstigen Fällen das Gleichgewicht nicht stört. Diese Verhältnisse stimmen mit der Wertung der Linien in den Urteilen vollkommen überein.

Richard Wilhelm
I Ging · Das Buch der Wandlungen
Die Struktur der Zeichen
© 1998- Schule des Rades
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