Schule des Rades
Richard Wilhelm
I Ging · Das Buch der Wandlungen
Zweites Buch: Das Material — Schuo Gua — Besprechung der Zeichen
Kapitel 3
Das dritte Kapitel behandelt die acht Zeichen einzeln und gibt die Symbolzusammenhänge, mit denen sie verknüpft sind. Es ist insofern von Wichtigkeit, als aus diesen Symbolzusammenhängen sich vielfach die Textworte zu den einzelnen Strichen erklären lassen. Die Kenntnis dieser Zusammenhänge ist technisch wichtig für das Verständnis des Buchs der Wandlungen in Beziehung auf seinen Aufbau.
Das Schöpferische ist stark, das Empfangende ist hingebend, das Erregende bedeutet Bewegung. Das Sanfte ist eindringend. Das Abgründige ist gefährlich. Das Haftende bedeutet Abhängigkeit. Das Stillehalten bedeutet Stehenbleiben. Das Heitere bedeutet Freude.
Das Schöpferische wirkt im Pferd, das Empfangende in der Kuh, das Erregende im Drachen, das Sanfte im Hahn, das Abgründige im Schwein, das Haftende im Fasan, das Stillehalten im Hund, das Heitere im Schaf.
Das Schöpferische wird symbolisiert durch das Pferd*, das rasch und unermüdlich dahinrennt, das Empfangende durch die sanfte Kuh. Das Erregende, dessen Bild der Donner ist, hat den Drachen, der aus der Tiefe sich an den Gewitterhimmel emporschwingt, entsprechend dem einen starken Strich, der unterhalb der beiden weichen Linien nach oben drängt. Das Sanfte, Eindringende hat den Hahn, der als Wächter der Zeit mit seiner Stimme die Stille durchdringt, die sich ausbreitet wie der Wind: das Bild des Sanften. Das Abgründige hat als Bild das Wasser. Das Schwein ist unter den Haustieren das im Schlamm und Wasser lebende. Das Haftende, der Schein, hat in seinem Zeichen Li schon ursprünglich das Bild eines fasanartigen Feuervogels. Das Stillehalten hat den Hund, den treuen Wächter, zum Tier, das Heitere das Schaf, das als Tier des Westens gilt; die beiden oberen, getrennten Striche deuten auf die Hörner des Schafs.
Das Schöpferische wirkt im Haupt, das Empfangende in der Bauchhöhle, das Erregende im Fuß, das Sanfte in den Schenkeln, das Abgründige im Ohr, das Haftende (der Schein) im Auge, das Stillehalten in der Hand, das Heitere im Mund.
Das Haupt beherrscht den ganzen Leib. Die Bauchhöhle dient zum Aufbewahren, der Fuß tritt auf und bewegt, die Hand hält fest. Die Schenkel verzweigen sich verhüllt nach unten, der Mund öffnet sich sichtbar nach oben. Das Ohr ist außen hohl, das Auge ist innen hohl: lauter Gegensatzpaare, die den Zeichen entsprechen.
Das Schöpferische ist der Himmel, darum wird es der Vater genannt. Das Empfangende ist die Erde, darum wird es die Mutter genannt.
Im Zeichen des Erregenden sucht sie zum erstenmal die Kraft des Männlichen und bekommt einen Sohn. Darum heißt das Erregende der älteste Sohn.
Im Zeichen des Sanften sucht das Männliche zum erstenmal die Kraft des Weiblichen und erhält eine Tochter. Darum heißt das Sanfte die älteste Tochter.
Im Abgründigen sucht sie zum zweitenmal und bekommt einen Sohn. Darum heißt das der mittlere Sohn.
Im Haftenden sucht er zum zweitenmal und bekommt eine Tochter. Darum heißt das die mittlere Tochter.
Im Stillehalten sucht sie zum drittenmal und bekommt einen Sohn. Darum heißt dies der jüngste Sohn.
Im Heiteren sucht er zum drittenmal und bekommt eine Tochter. Darum heißt das die dritte Tochter.
Bei den Söhnen stammt der Ableitung nach das Materielle von der Mutter, daher zwei weibliche Strichelemente, während das beherrschende, determinierende Strichelement vom Vater stammt und umgekehrt. Die Geschlechter schlagen in den Nachkommen jeweils in ihr Gegenteil um.
Hier in der innerweltlichen Ordnung ist ein Geschlechterwechsel der abgeleiteten Zeichen gegenüber der vorweltlichen Ordnung zu beobachten. In der vorweltlichen Ordnung ist jeweils der unterste Strich geschlechtsbestimmend. Da sind die Söhne: 1. Dschen, das Erregende, 2. Li, das Haftende (die Sonne), 3. Dui, das Heitere. Sie stehen in der Anordnung in der Osthälfte. Die Töchter sind, 1. Sun, das Sanfte, 2. Kan, das Abgründige (der Mond), 3. Gen, das Stillehaltende. Sie stehen in der Westhälfte. Es haben also in der innerweltlichen Ordnung nur Dschen und Sun ihr Geschlecht beibehalten. Die Anordnung zeigt die Söhne links von Kiën, dem Schöpferischen, während Kun die beiden älteren Töchter rechts von sich, die jüngste links zwischen sich und Kiën hat.
Das Schöpferische ist der Himmel, ist rund, ist der Fürst, ist der Vater, ist der Nephrit, ist das Metall, ist die Kälte, ist das Eis, ist das Tiefrote, ist ein gutes Pferd, ist ein altes Pferd, ist ein mageres Pferd, ist ein wildes Pferd, ist das Baumobst.
Die meisten der Symbole ergeben sich von selbst. Der Nephrit ist das Symbol der fleckenlosen Reinheit und der Festigkeit, ebenso das Metall. Kälte und Eis ergeben sich aus der Stellung des Zeichens im Nordwesten. Das Tiefrote ist die gesteigerte Farbe des Lichten (im Text ist schwarzblau die Farbe des Schöpferischen entsprechend der Farbe des Himmels). Die verschiedenen Pferde deuten auf Kraft, Dauer, Festigkeit, Stärke (das wilde
Pferd ist ein mythisches Tier mit Sägezähnen, das selbst einen Tiger zerbeißen kann). Das Obst ist das Symbol der Dauer im Wechsel.
Zusätze späterer Kommentare: ist gerade, ist der Drache, ist das Obergewand, ist das Wort.
Das Empfangende ist die Erde, ist die Mutter, ist Tuch, ist der Kessel, ist die Sparsamkeit, ist ebenmäßig, ist ein Kalb mit der Kuh, ist ein großer Wagen, ist die Form, ist die Menge, ist der Stamm. Unter den Erdarten ist es die schwarze.
Die ersten Symbole sind ohne weiteres verständlich. Das Tuch ist das Ausgebreitete; die Erde ist mit Leben bedeckt wie mit einem Gewand. Im Kessel kocht man die Dinge, bis sie gar sind; so ist die Erde der große Schmelztiegel des Lebens. Die Sparsamkeit ist eine Grundeigenschaft der Natur. Ebenmäßig bedeutet, dass sie keine Zu- und Abneigung kennt. Kalb mit Kuh ist Symbol der Fruchtbarkeit; der große Wagen ist das Symbol, dass sie alle Wesen trägt. Form und Verzierung ist das Gegenteil des Gehalts, der im Schöpferischen gegeben ist. Die Menge oder Mehrheit steht im Gegensatz zur Einheit des Schöpferischen. Der Stamm ist das, aus dem die Zweige entspringen, wie alles Leben aus der Erde entspringt. Schwarz ist das gesteigerte Dunkel**.
Das Erregende ist der Donner, ist der Drache, ist dunkelgelb, ist das Ausbreiten, ist eine große Strasse, ist der älteste Sohn, ist entschieden und heftig, ist grüner, junger Bambus, ist Schilf und Rohr. Unter den Pferden bedeutet es die, die gut wiehern können, die mit weißen Hinterbeinen, die galoppierenden, die mit einem Stern auf der Stirn.
Unter den Nutzpflanzen sind es die Hülsenfrüchte. Schließlich ist es das Starke, das üppig Gedeihende.
Dunkelgelb ist die Mischung des dunklen Himmels und der gelben Erde. Das Ausbreiten — vielleicht ist zu lesen: die Blüten — deutet auf das üppige Wachstum im Frühling, das die Erde mit einem Pflanzenkleide überzieht. Die große Strasse deutet auf den allgemeinen Weg zum Leben im Frühling. Bambus, Schilf und Rohr sind besonders rasch wachsende Pflanzen. Das Wiehern der Pferde deutet auf ihre Verwandtschaft mit dem Donner. Die weißen Hinterbeine leuchten weithin beim Lauf. Der Galopp ist die bewegteste Gangart. Die Hülsenfrüchte tragen beim Keimen noch die Hülse des Samens an sich.
Das Sanfte ist das Holz, ist der Wind, ist die älteste Tochter, ist die Richtschnur, ist die Arbeit, ist das Weiße, ist das Lange, ist das Hohe, ist Fortschritt und Rückzug, ist das Unentschiedene, ist der Geruch.
Unter den Menschen bedeutet es die Grauhaarigen bedeutet es die mit breiter Stirn, bedeutet es die mit viel Weiß im Auge, bedeutet es die, die dem Gewinn nahe stehen, so dass sie auf dem Markt das Dreifache bekommen. Schließlich ist es das Zeichen der Heftigkeit.
Die ersten Bedeutungen sind ohne weiteres verständlich. Die Richtschnur ist das Zeichen insofern, als es sich auf die windartige Ausbreitung von Befehlen bezieht. Weiß ist die Farbe des Yinprinzips. Hier ist das Yin im Anfang an unterster Stelle. Das Holz wächst lang; der Wind kommt in große Höhen hinauf. Fortschritt und Rückzug bezieht sich auf die Unentschiedenheit des Windes; hierher gehört auch die Unentschiedenheit und der Geruch, der durch den Wind vermittelt wird. Die Grauhaarigen, spärlich behaarten Menschen haben viel Weiß im Haar. Die mit viel Weiß im Auge sind hochmütig und heftig. Heftig sind auch die Gewinnsüchtigen, so dass schließlich das Zeichen in sein Gegenteil umschlägt und die Heftigkeit, d. h. Dschen, repräsentiert.
Das Abgründige ist das Wasser, sind Gräben, ist der Hinterhalt, ist das Geradebiegen und Krummbiegen, ist der Wagen und das Rad.
Unter den Menschen bedeutet es die Melancholischen, die im Herzen Kranken, die mit Ohrenschmerzen.
Es ist das Zeichen des Blutes, ist das Rote.
Unter den Pferden bedeutet es die mit schönem Rücken, mit wildem Mut, die den Kopf hängen lassen, die dünne Hufe haben, die Stolpernden.
Unter den Wagen bedeutet es die mit vielen Fehlern.
Es ist das Durchdringen, ist der Mond.
Es bedeutet die Diebe.
Unter den Holzarten bedeutet es die festen mit viel Mark.
Die ersten Eigenschaften ergeben sich wieder von selbst. Das Gerade- und Krummbiegen liegt im schlängelnden Gang des Wassers; von da aus kommt der Gedanke auf Gebogenes, auf Bogen und Rad. Der Trübsinn wird ausgedrückt durch den einen starken Strich, der zwischen zwei schwachen eingeklemmt ist, ebenso die Herzkrankheit. Das Zeichen ist die Mühe und das Ohr. Durch mühsames Anhören gibt es Ohrenschmerzen.
Das Blut ist die Flüssigkeit des Körpers, daher ist seine Farbe rot, wenn auch etwas heller als die von Kiën, dem schöpferischen. Durch das Durchdringen bekommt es, auf den Wagen angewandt, das Bild eines zerbrochenen Wagens, der als Lastwagen dient. Das Durchdringen wird nahegelegt durch den durchdringenden Strich in der Mitte, der zwischen die zwei schwachen eingekeilt ist. Als Wasserelement bedeutet es den Mond, der somit als männlich erscheint. Die heimlich Durchdringenden und Fortschleichenden sind die Diebe. Ebenso ist auch die Markigkeit des Holzes etwas, das mit der Eigenschaft des Durchdringens zusammenhängt.
Das Haftende ist das Feuer, ist die Sonne, ist der Blitz, ist die mittlere Tochter.
Es bedeutet Panzer und Helme, es bedeutet Lanzen und Waffen. Unter den Menschen bedeutet es die mit großem Bauch.
Es ist das Zeichen der Trockenheit. Es bedeutet die Schildkröte, die Krabbe, die Schnecke, die Muschel, die Karettschildkröte.
Unter den Bäumen bedeutet es die oben am Stamm dürren.
Soweit sich die verschiedenen Symbole nicht von selbst verstehen, werden sie nahegelegt durch die Bedeutung des Feuers, der Hitze und Trockenheit, ferner durch den Charakter des Zeichens, das außen fest und innen hohl bzw. weich ist. Hierher gehören die Waffen, der dicke Bauch, die Schaltiere, die hohlen Bäume, die oben anfangen dürr zu werden.
Das Stillehalten ist der Berg, ist ein Nebenweg, bedeutet kleine Steine, bedeutet Türen und Öffnungen, bedeutet Früchte und Samen, bedeutet Eunuchen und Wächter, bedeutet die Finger, ist der Hund, ist die Ratte und die Arten der Schwarzschnäbel.
Unter den Bäumen bedeutet es die festen, knotigen.
Ein Nebenweg wird durch die Bergpfade nahegelegt, ebenso die Steine. Das Tor wird durch die Form des Zeichens nahegelegt. Früchte und Samen sind die Vermittlung zwischen Ende und Anfang der Pflanzen. Eunuchen sind Türhüter, Wächter sind Straßenhüter, beide schützen und bewachen. Die Finger sind zum Festhalten da. Der Hund bewacht, die Ratte nagt, die Vögel mit schwarzen Schnäbeln können Dinge leicht festhalten. Ebenso sind die knotigen Stämme diejenigen, die am meisten standhalten.
Das Heitere ist der See, ist die jüngste Tochter, ist eine Zauberin, ist Mund und Zunge, bedeutet Verderben und Zerbrechen, bedeutet Abfallen und Aufspringen.
Unter den Erdarten bedeutet es die harten und salzigen. Es ist die Nebenfrau, ist das Schaf.
Die Zauberin ist eine Frau, die redet. Das Heitere ist oben offen, daher Mund und Zunge. Es steht im Westen und steht daher mit dem Gedanken des Herbstes, des Zerstörens, in Verbindung, daher Verderben und Zerbrechen, Abfallen und Aufspringen der reifen Früchte. Harte, salzige Erde ist die Erde an Orten, wo Seen ausgetrocknet sind. Die Nebenfrau leitet sich ab aus dem Gedanken der jüngsten Tochter. Das Schaf, außen schwach und innen bockig, wird, wie schon bemerkt, durch die Form des Zeichens nahegelegt. Zu beachten ist, dass Schaf und Ziege in China als ungefähr dieselben Tiere, die denselben Namen haben, aufgefasst werden.
Anmerkung:
* | Es sind hier Varianten zum Text des I Ging vorhanden, in denen das Schöpferische den Drachen, das Empfangende die Stute, das Haftende die Kuh hat. |
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** | Im Text ist die Farbe des Empfangenden Gelb, sein Tier die Stute. |