Schule des Rades

Richard Wilhelm

I Ging · Das Buch der Wandlungen

Drittes Buch: Die Kommentare — Zweite Abteilung

I D E O G R A M M

51. Dschen - Das Erregende, (das Erschüttern, der Donner)

Kernzeichen:Kan und Gen
Die Herren des Zeichens Dschen sind die beiden lichten Striche. Da es aber in der Idee des Zeichens das Erschüttern liegt, dass das Lichte von unten her in Bewegung ist, wird der vierte Strich nicht als Herr betrachtet, sondern nur der Anfangsstrich.
Die Reihenfolge
Unter den Verwaltern der heiligen Geräte steht der älteste Sohn in erster Linie. Darum folgt darauf das Zeichen: die Erregung. Erregung bedeutet Bewegung.
Vermischte Zeichen
Erregung bedeutet Anfangen, Aufstehen.
Das Zeichen gehört zu den acht Doppelzeichen. Es ist die Verdoppelung von Dschen, das den ältesten Sohn, den Anfang der Dinge im Osten bzw. Frühling bedeutet. Das wird auch durch das Bild nahegelegt, das das Aufsteigen der Elektrizität, den Donner, zeigt, der im Frühling wieder sich hören lässt.
Das Urteil
Das Erschüttern bringt Gelingen.
Das Erschüttern kommt: Hu, Hu!
Lachende Worte: Ha, Ha!
Das Erschüttern erschreckt hundert Meilen,
und er lässt nicht Opferlöffel und Kelch fallen.
Kommentar zur Entscheidung
Das Erschüttern bringt Gelingen.
Das Erschüttern kommt: Hu, Hu!

Furcht bringt Glück.
Lachende Worte: Ha, Ha!
Nachher hat man eine Regel.
Das Erschüttern erschreckt hundert Meilen.
Wenn man in der Ferne Schrecken wirkt und in der Nähe besorgt ist, dann mag man hervortreten und Ahnentempel und Erdaltar bewahren und der Leiter der Opfer sein.
Das Erschüttern kommt: Hu, Hu; die Worte Hu, Hu bedeuten ursprünglich einen erschreckten Tiger, dann einen Gecko, der erschreckt an der Wand hin und her läuft. So kommt dann die Bedeutung der Furcht den beiden anomatopoetischen Zeichen (chinesisch hi, hi) zu, die ganz der Bedeutung des deutschen hu, hu entspricht. Durch die so erregte Furcht wird man vorsichtig, und Vorsicht bringt das Glück. Lachende Worte: ha, ha... sie sind nahegelegt durch den Laut des Donners, der wie ha, ha klingt. Sie sind ein Symbol der inneren Ruhe inmitten des Sturmes äußerer Bewegung.
Das Erschüttern schreckt hundert Meilen: das ist der Laut des Donners, der zugleich das Symbol ist eines machtvollen Herrschers – durch den Gedanken des ältesten Sohnes nahegelegt –, der alles im Umkreis in Respekt zu setzen weiß, aber dabei auch im Kleinsten sorgfältig und genau ist. Darauf bezieht sich dann auch der Schluss. Der Herr der Opfer ist zugleich der Herr des Hauses bzw. des Reiches. Auch hier hatte der älteste Sohn seine besondere Aufgabe. Das Zeichen Dschen bedeutet Hervortreten Gottes im Frühling und zugleich das Wiedererwachen der Lebenskraft, die von unten her sich wieder regt.
Das Bild
Fortgesetzter Donner: das Bild des Erschütterns.
So macht der Edle unter Furcht und Zittern sein
Leben recht und erforscht sich selbst.
Fortgesetzter Donner heißt es, weil das Zeichen Dschen verdoppelt übereinander steht. Furcht und Zittern ist der erste Donner, Bilden und Forschen ist der zweite Donner.

Die einzelnen Linien

Anfangs eine Neun bedeutet:
  1. Das Erschüttern kommt: Hu, Hu!
    Darauf folgen lachende Worte: Ha, Ha!
    Heil!
  2. Das Erschüttern kommt: Hu, Hu!
    Furcht bringt Glück.
    Lachende Worte: Ha, Hai
    Nachher hat man eine Regel.

Es ist hier wörtlich ein Teil des Gesamttextes und der Erklärung dazu angeführt, wie das zuweilen beim Herrn des Zeichens der Fall ist. Der starke Strich am Anfang, der von unten her die Bewegung einleitet, zeigt die Quintessenz der ganzen Lage.

Sechs auf zweitem Platz bedeutet:
  1. Das Erschüttern kommt mit Gefahr.
    Hunderttausendfach verlierst du deine Schätze
    und musst auf die neun Hügel steigen.
    Jage ihnen nicht nach.
    Nach sieben Tagen bekommst du sie wieder.
  2. Das Erschüttern kommt mit Gefahr. Er beruht auf einem Festen.

Da der Anfangsstrich mit starker Erschütterung nach oben drängt, kann für die schwache Linie auf schwachem Platz von einem Verhältnis des Zusammenhaltens mit ihm nicht die Rede sein. Aber der Strich ist zentral und korrekt, darum wird er durch die drohende Gefahr nur äußerlich getroffen wie bei einem Gewitter, das auch nur vorübergehend erschütternd wirkt. Die Gefahr wird angedeutet durch das Kernzeichen Kan, unter dem der Strich steht. Die Flucht auf die Hügel wird nahegelegt durch das untere Kernzeichen Gen, der Berg. Die Sieben ist die Zahl der Wiederkehr, die die alten Zustände wiederbringt, nachdem alle sechs Situationen der sechs Striche sich verändert haben.

Sechs auf drittem Platz bedeutet:
  1. Das Erschüttern kommt und macht fassungslos.
    Wenn man infolge des Erschütterns handelt,
    so bleibt man frei von Unglück.
  2. Das Erschüttern kommt und macht fassungslos. Der Platz ist nicht der gebührende.

Das Wort Su, das mit fassungslos wiedergegeben ist, bedeutet die Bewegungen der Insekten nach dem Winterschlaf, die noch vollkommen starr und wie gelähmt sind. Der Platz ist nicht der rechte, denn der Platz ist stark, und die Linie ist schwach. Darum ist sie der Erschütterung der Stellung nicht gewachsen. Es ist deshalb nötig, dass sie sich durch die Erschütterung bewegen lässt. Durch Bewegung wird aus einem schwachen ein starker Strich. Damit ist man der Erschütterung gewachsen.

Neun auf viertem Platz bedeutet:
  1. Das Erschüttern gerät in Schlamm.
  2. Das Erschüttern gerät in Schlamm.
    Er ist noch nicht hell genug.

Der Strich ist an sich stark, aber seine Stärke wird durch die Schwäche des Platzes beeinträchtigt. Ferner ist er im Kernzeichen Kan gerade am Platz des Loches und andererseits an der Spitze des Kernzeichens Gen, Stillstand. Das alles macht, dass die starke Natur des Striches nicht zur Geltung kommen kann, sich nicht hell genug zeigt und daher im Schlamm steckenbleibt.

Sechs auf fünftem Platz bedeutet:
  1. Das Erschüttern geht hin und her: Gefahr.
    Aber man verliert durchaus nichts,
    nur gibt es Geschäfte.
  2. Das Erschüttern geht hin und her: Gefahr.
    Man wandelt in Gefahr. Die Geschäfte sind in der Mitte, darum verliert man durchaus nichts.

Der Strich ist zentral – ebenso wie die Sechs auf zweitem Platz. Aber während dort das Kernzeichen Kan, Gefahr, bevorsteht, ist sie hier überwunden; man ist schon auf dem Hügel (Kernzeichen Gen). Darum verliert man nichts. Es gilt nur, dass man durch Festhalten der zentralen Stellung sich die Stärke wahrt, die in dieser Stellung – fünf ist der Platz des Herrschers – liegt. Die Sechs auf zweitem Platz ist Beamter. Der Beamte mag vorübergehend seinen Besitz verlieren; das lässt sich alles wieder ersetzen. Die Sechs auf fünftem Platz ist aber der Herrscher. Sein Besitz ist Land und Leute. Die dürfen nicht verlorengehen. Das ist möglich, wenn man sich zentral und korrekt verhält.

Oben eine Sechs bedeutet:
  1. Die Erschütterung bringt Verfall und ängstliches Umherblicken.
    Vorangehen bringt Unheil.
    Wenn sie noch nicht den eignen Leib erreicht,
    sondern erst den Nachbar erreicht hat,
    so ist es kein Makel.
    Die Genossen haben zu reden.
  2. Die Erschütterung bringt Verfall. Er hat die Mitte nicht erreicht. Obwohl Unheil, kein Makel.
    Man lässt sich durch die Furcht für den Nachbar warnen.

Der Strich steht in Beziehung zum dritten; das ist der Genosse, der zu reden hat. Die fünfte Linie ist der Nachbar. Die schwache Linie steht an der Spitze der Erschütterung, sie ist daher der Erschütterung an sich nicht gewachsen. Die Erschütterung droht mit Ruin wie beim Erdbeben. Daher das ängstliche Umherblicken.
Wollte man in solchem Zustand etwas unternehmen, so wäre das vom Übel. Lässt man sich dagegen warnen durch das, was der Nachbar – in diesem Fall die fünfte Linie – erlebt, und hält sich ruhig, so bleibt man frei von Fehlern. Die dritte Linie, der Genosse, ist durch ihre Lage gezwungen, sich zu bewegen, darum wird sie es nicht verstehen, dass die sechste Linie sich ruhig verhält. Aber das verschiedene Verhalten ergibt sich aus dem verschiedenen Platz. Darum muss man ganz unabhängig in seinen Handlungen sein.