Schule des Rades

Richard Wilhelm

I Ging · Das Buch der Wandlungen

Drittes Buch: Die Kommentare — Erste Abteilung

I D E O G R A M M

7. Schï - Das Heer

Kernzeichen:Kun und Dschen
Die Herren des Zeichens sind die Neun auf zweitem und die Sechs auf fünftem Platz. Die Neun auf zweitem Platz ist unten, sie ist der starke Mann. Die Sechs auf fünftem Platz ist oben, sie ist imstande, den starken Mann zu verwenden.
Die Reihenfolge
Wenn es Streit gibt, erheben sich sicher die Massen. Darum folgt darauf das Zeichen: das Heer. Heer bedeutet Masse.
Vermischte Zeichen
Das Heer bedeutet Trauer.
Das Urteil
Das Heer braucht Beharrlichkeit
und einen starken Mann.
Heil ohne Makel.
Kommentar zur Entscheidung
Das Heer bedeutet die Masse. Beharrlichkeit bedeutet Zucht.
Wer durch die Massen Zucht bewirken kann, der mag die Weltherrschaft erlangen.
Der Starke ist zentral und findet entsprechenden Rückhalt.
Man tut Gefährliches, aber findet Hingebung.
Wer auf diese Weise die Welt leitet, dem folgt das Volk.
Heil! Und was für ein Fehler könnte das sein?
Das Zeichen besteht aus einer Masse von lauter weichen Strichen, in deren Mitte auf zentralem, wenn auch untergeordnetem Platz als Feldherr, nicht als Herrscher, ein einziger Starker sich befindet, der die andern in Zucht hält. Daraus ergibt sich die Idee der Masse – die vielen weichen Linien – und des Heers: eine disziplinierte Menge. Der feste Strich auf zweitem Platz findet in dem weichen Strich auf fünftem Platz, dem Platz des Herrschers, einen entsprechenden Rückhalt.
Die Gefahr des Handelns ist durch das untere Zeichen Kan, die Hingebung durch das obere Zeichen Kun angedeutet.
Das Zeichen leitet ist im Text du = vergiften geschrieben, muss aber dan = leiten gelesen werden.
Das Bild
Inmitten der Erde ist Wasser: das Bild des Heeres.
So mehrt der Edle durch Weitherzigkeit gegen das Volk seine Massen.
Die Soldaten sind bei der im Altertum üblichen allgemeinen Wehrpflicht unter dem Volke vorhanden wie das Wasser unter der Erde. Durch Pflege des Volkes sorgt man daher für ein tüchtiges Heer.
Die Weite ist die Eigenschaft der Erde, die auch die Massen repräsentiert. Das Wasser bedeutet die Verwendung zu Diensten; dem Wasser fließt alles zu.

Die einzelnen Linien

Anfangs eine Sechs bedeutet:
  1. Ein Heer muss ausziehen nach der Ordnung.
    Ist die nicht gut, droht Unheil.
  2. Ein Heer muss ausziehen nach der Ordnung.
    Die Ordnung verlieren ist unheilvoll.

Bemerkung: Das Wort für Ordnung bedeutet ursprünglich ein röhrenartiges Musikinstrument. Es würde wörtlich also heißen: Das Heer rückt aus mit Hörnerschall. Wenn die Hörner nicht stimmen, ist das ein schlechtes Zeichen.
Die Linie ist ganz unten, daher der Anfang, das Ausrücken des Heeres, durch sie angedeutet wird. Das Wasserzeichen bedeutet die ordnungsgemäße Verwendung. Wandelt sich die Linie, so wird aus dem unteren das Zeichen Dui, die Heiterkeit, wodurch natürlich die Ordnung verlorengeht, da Heiterkeit nicht die Gemütsverfassung für einen beginnenden Krieg ist.

Neun auf zweitem Platz bedeutet:
  1. Inmitten des Heeres!
    Heil! Kein Makel!
    Der König verleiht dreifache Auszeichnung.
  2. Inmitten des Heeres! Heil!
    Er empfängt die Gnade vom Himmel.
    Der König verleiht dreifache Auszeichnung.
    Er hat das Wohl aller Lande im Herzen.

Der zweite Platz ist der Platz des Beamten und hier, weil es das Zeichen Heer ist, des Feldherrn. Die Gnade des Himmels kommt von der Sechs auf fünftem Platz, die auf dem Platz des Himmels im Verhältnis der Entsprechung zu diesem Strich steht. Die dreimalige Auszeichnung kommt von den drei gleichgearteten Strichen des oberen Zeichens Kun.

Sechs auf drittem Platz bedeutet:
  1. Das Heer führt etwa im Wagen Leichen. Unheil!
  2. Das Heer führt etwa im Wagen Leichen.
    Das ist gänzlich ohne Verdienst.

Das obere Kernzeichen ist Kun, dessen Bild der Wagen ist. Der Strich ist schwach, auf der Spitze der Gefahr, inmitten des Kernzeichens der Erregung; das alles sind Dinge, die es nahelegen, dass eine schwere Niederlage erlitten wird.

Sechs auf viertem Platz bedeutet:
  1. Das Heer zieht sich zurück. Kein Makel.
  2. Das Heer zieht sich zurück. Kein Makel,
    denn es weicht nicht ab von der gewöhnlichen Art.

Wörtlich bedeutet der Text: Das Heer wendet sich nach links. Rechts ist im Krieg soviel wie vorn, links soviel wie hinten. Der Strich ist äußerst schwach, weil von Natur schwach und noch dazu an schwacher Stelle. Doch er ist an dem ihm gebührenden Platz, daher Rückzug, ohne dass er zu tadeln wäre.

Sechs auf fünftem Platz bedeutet:
  1. Im Feld ist ein Wild. Es ist fördernd, es zu fangen.
    Ohne Makel.
    Der Älteste führe das Heer.
    Der Jüngere fährt Leichen,
    da bringt Beharrlichkeit Unheil.
  2. Der Älteste führe das Heer,
    weil er zentral und korrekt ist.
    Der Jüngere fährt Leichen.
    So betraut man nicht den rechten Mann.

Das Zeichen Kan bedeutet Schwein, Feld ist Erde (Kun). Innerhalb des Zeichens Kun (Feld) ist Kan (Schwein, d. h. ein Wild). Da ist es fördernd, es zu fangen. Wenn man den genauen Wortlaut übersetzt, so heißt es Seine Fehler erklären (diese Deutung ist aber weniger gut)*. Der Älteste ist die starke Neun auf zweitem Platz, er soll das Heer führen. Wenn ein anderer das Heer führt, der nicht die Erfahrung hat – gemeint ist Sechs auf drittem Platz –, so kommt es dazu, dass Leichen geführt werden müssen, das heißt, dass eine Niederlage erlitten wird.

Oben eine Sechs bedeutet:
  1. Der große Fürst erlässt Befehle,
    gründet Staaten, belehnt Familien.
    Gemeine Menschen soll man nicht benützen.
  2. Der große Fürst erlässt Befehle,
    um das Verdienst gebührend zu belohnen.
    Gemeine Menschen soll man nicht benützen,
    denn sie verwirren sicher das Land.

Der oberste Platz zeigt das siegreiche Ende des Kriegs. Der große Fürst ist die Sechs auf fünftem Platz. Es wird hier, wie zuweilen bei der oberen Sechs, eine Ergänzung zu dem Strich auf fünftem Platz – gleichsam objektiv von außen betrachtet – gegeben. Das Verdienst, das belohnt wird, ist Neun auf zweitem Platz; die gemeinen Menschen sind repräsentiert durch die Sechs auf drittem Platz.

Anmerkung:
*Der Satz Li dschu yen wird am besten so übersetzt, dass das Wort yen, welches reden, erklären heißt, hier ebenso wie häufig im Buch der Lieder einfach als Ausrufezeichen dient; damit gewinnt man die Übersetzung fördernd ist es, festzuhalten, zu fangen (sc. das Wild).