Schule des Rades

Arnold Keyserling

Der Wiener Denkstil

Schlussfolgerungen

Mach, Carnap und Wittgenstein bildeten selbständige Schulen, die jedoch wegen ihrer Einseitigkeit bald zu wesenlosen Sekten erstarrten; das hat sie aus dem öffentlichen Bewusstsein entschwinden lassen. Doch ihr vereintes Werk, beziehungsweise eine Synthese ihrer wesentlichen Gedanken wäre vielleicht imstande, einen Schlüssel zu bieten, mit dem die Philosophie, ganz im Sinne der drei Wiener Pioniere, aus ihrer heutigen Erstarrung herausgeführt werden und es eine wirkliche Antwort auf alle philosophischen Fragen geben könnte, so dass diese entweder zu lösen oder zu erledigen wären: wenn einmal alle Elemente der Wirklichkeit, unserer inneren wie äußeren Wahrnehmung, unter Einschluss der wissenschaftlichen Daten eindeutig im Sinne Machs bestimmt sind; und wenn alle Wege ihrer Verknüpfung, von der Sprache über die wissenschaftliche Methodik bis zur mathematischen Metasprache und Syntax, erkannt worden sind.
Dann hätte der Mensch die Möglichkeit, das Spiel seines Lebens frei zu wählen und zu gestalten, und wäre, wie es dem jungen Karl Marx vorschwebte, vom Reich der Notwendigkeit in das Reich der Freiheit aufgestiegen.

Doch nicht auf dem Wege der gesellschaftlichen Umwälzung, noch weniger auf dem der asketischen Verneinung des Lebens, sondern durch das Erlernen einer ganz bestimmten philosophischen Lehre, in welcher die bahnbrechenden Entdeckungen Machs, Carnaps und Wittgensteins allerdings erst den Anfang gemacht haben.

Die Synthese der drei Richtungen ist im Augenblick noch eine Aufgabe für die Zukunft; heute stehen sich ihre Vertreter fremd, wenn nicht sogar feindlich gegenüber. Und doch lässt sich schon jetzt ihr gemeinsames Anliegen klar herausschälen, wie dieses Buch verdeutlichen möge.

Arnold Keyserling
Der Wiener Denkstil · 1965
Studienkreis KRITERION
© 1998- Schule des Rades
HOMEDas RAD