Schule des Rades

Arnold Keyserling

Vernünftige Hermetik

5. Psychologie

Die Hermetik nimmt die ganzheitliche Erfahrung des Gewahrseins zum Ausgangspunkt des seelischen Selbstverständnisses, und findet damit den Zusammenhang mit anderen Weltphilosophien. Jakob Böhme, ausgehend von einer Vision in seiner Schusterkugel, erlebte die siebenfältige Struktur des Gemüts. Er entdeckte ohne Kenntnis der indisch-chinesischen Überlieferung die Chakras als Sinnschichten des Gewahrseins. Er unterschied folgende Stufen:

7 Leiblichkeit Klammer Reich der Freude Liebe
Zorn
6 Schall und Ton
5 Licht
4 Feuer
Entscheidung
3 das Bittere Klammer Reich des Grimms
2 das Süße
1 das Herbe

Der wesentliche Unterschied zur östlichen Tradition ist der Zusammenhang von Leiblichkeit mit dem siebten Chakra, also die metaphysische Bewertung der Sinnlichkeit. Hieraus entdeckte Böhme den Zusammenhang mit der Ars Magna des Alchemisten Ramon Lull, dem Rad und der kabbalistischen Merkabavision, wie folgender Text zeigt:

Dies ist nicht so zu begreifen, dass ich diesen Dingen mächtig genug sei, sondern so viel ich begreifen kann. Denn das Wesen Gottes ist wie ein Rad, da viele Räder ineinander in die Quere, über sich und unter sich gemacht sind und sich immer miteinander umwenden. Zwar sieht man das Rad und wundert sich sehr, und doch kann man es in seiner Umwendung nicht erlernen noch begreifen; sondern je mehr man das Rad ansiehet, desto mehr erlernt man seine Gestalt; und je mehr man lernet, desto größere Lust hat man zum Rade. Denn man siehet immer etwas Wunderbares, und ein Mensch kann sich nicht genug sehen und lernen.
(Jakob Böhme, Die Morgenröte im Aufgang · 1634)

Das Rad ist die sinnlich-musikalische Ordnung aller Weltelemente des Makrokosmos, Mikrokosmos und des seelisch menschlichen Mesokosmos; der Schlüssel zur Astrologie, zur Numerologie, bei Paracelsus zur Medizin und zur Erkenntnis der Naturgeister, der astralen und elementalen Wesenheiten. Im Durchbruch zu diesem ganzheitlichem Zusammenhang entrinnt der Mensch dem beschränkten Bewusstsein und tritt über in das körperlich begründete Gewahrsein. Die Welt der Sinne umfasst Diesseits und Jenseits, bedarf keiner künstlichen Theorie, sondern der einenden Schau, die in den alchemistischen Texten der ganzen Erde immer wieder angedeutet wurde. Somit zeigt die Hermetik sowohl einen persönlichen als auch einen spirituellen Zugang zu einem phänomenologischen Reich der Freude, das sich über alle Welten erstreckt und dem Menschen in Stunden der Erleuchtung seinen seelischen Zusammenhang mit dem Göttlichen offenbart.

Arnold Keyserling
Vernünftige Hermetik · 1999
Studienkreis KRITERION
© 1998- Schule des Rades
HOMEDas RAD