Schule des Rades

Arnold Keyserling

Astrologie und Kriteriologie

Raumhafte Bereiche und zeithafte Funktionen

Nicht nur die Welt der Töne, sondern auch die der Farben lässt sich im Zwölferrahmen gesetzlich umfassen. Das hat manche Physiologen dazu geführt, die Kreisordnung als nur subjektiv gültiges System des menschlichen Bewusstsein zu bestimmen, das von der Außenwelt unabhängig sei. Konrad Lorenz behauptet z. B., die Farben weiß als Vereinigung von Gegenfarben des Lichtes, und Purpur als Verschmelzung von rot und violett existierten nicht wirklich. Aber auch der Kosmos folgt in seiner zeitlichen Gliederung dem gleichen Gesetz: der Quintenzirkel entspricht der Ekliptik, den Planeten in ihren Umlaufszeiten und Entfernungen, wie Kepler nachgewiesen hat, die Obertonreihe, und selbst die Ordnung der chemischen Elemente im periodischen System lässt sich im gleichen Schema klärend veranschaulichen.

Wenn sich nun menschliche Sinnesstruktur, materielle Elementarstruktur und Sonnensystem dem gleichen Schema einordnen, liegt der Gedanke nahe, auch die psychische Struktur aus demselben Gesetz was ja nichts anderes bedeutet als die Möglichkeit des gesetzlichen Erkennens überhaupt abzuleiten. Die erfahrbare Struktur des Wesenskreises gibt hierzu die Handhabe, sobald wir die Bewusstseinskomponenten nach raumhaft beharrenden Bereichen und zeithaften Funktionen als Träger des Wandels gliedern:

  • die Welt des Wachens wird über das Empfinden erfasst,
  • jene des Traumes über das Fühlen;
  • die Sphäre des Gedächtnisses wird über das Denken bewusst einbezogen,
  • und jene der Zahlen, der inhaltsleeren Formen, welche die Eindrücke und Vorstellungen strukturieren, über das Wollen.

Den vier Funktionen treten drei Bereiche Körper, Seele und Geist gegenüber:

  • Körper als Inbegriff alles Stofflichen,
  • Geist als Inbegriff aller mentalen Inhalte,
  • und schließlich die Seele als personale Subjekthaftigkeit und Beziehung.

Die Funktionen können nur in einem der Bereiche zur Wirkung kommen. Wenn man z. B. denkt, so geschieht dies entweder im körperlichen Bereich der Geräte, Werkzeuge und Maschinen, im seelischen der Verhältnisse und Sitten, oder im geistigen der Abstraktionen, Beziehungen und Gesetze. Somit bilden sich aus der Verschmelzung der drei Bereiche und der vier Funktionen zwölf Schwerpunkte oder Assoziations­zentren des Bewusstseins.

Wie können wir nun die raumzeitliche Ordnung der Zentren im Verhältnis zur Ekliptik bestimmen? Die Antwort ergibt sich aus den Tageszeiten. Setzen wir die Bewusstseinsstadien mit diesen in Beziehung,

  • so entspricht der Sonnenaufgang dem Erwachen aus dem Tiefschlaf und damit dem Wollen,
  • der wache Mittag dem Empfinden,
  • der Sonnenuntergang der Verinnerlichung der Wahrnehmungen und ihrer Beziehung zu Trieben in den Assoziationen des Denkens,
  • und die Nacht der Traumsphäre und dem Fühlen.

Hieraus erklärt sich die linksläufige Reihenfolge der Assoziations­zentren, die dem Sonnenlauf entspricht und mit dem Frühlingspunkt 0° Widder beginnt. Die Folge der Bereiche Körper - Seele - Geist ist gegenläufig und hebt an mit der Basis des Rades, Körper-wollen im Löwen. So offenbart sich der Tierkreis der Ekliptik, der seine gesetzliche Entsprechung im Quintenzirkel hat, als Ordnungsschema des Bewusstseins; und wenn wir die statistische Tradition der Astrologie nachprüfen, so werden wir finden, dass die gefundenen Charakteristiken zum größten Teil den möglichen Inhalten der Assoziations-Inbegriffe entsprechen.

Zu diesen Inbegriffen treten Sonne, Mond und Planeten. Sie entsprechen den Zahlen als Träger allen Gesetzes und aller Verallgemeinerung, und damit den Wortarten der Grammatik, die sich durch die Anzahl der Kategorien unterscheiden, welche sie beinhalten — vom einfältigen Bindewort über das zweifältige Hauptwort (Name-Begriff) und das dreifältige Urzeitwort (sein-haben-werden) bis zum neunfältigen Zeitwort. Die Stellung der Planeten im Rad ergibt sich aus ihrer Entfernung von der Sonne, mit Ausnahme der drei Denkplaneten Uranus, Neptun und Pluto. Auch hier zeigen sich die traditionellen Zuordnungen teilweise als berechtigt, mit Ausnahme jener Bestimmungen, die einer falschen Struktur im Sinne der ptolemäischen Auffassung und der mangelnden Kenntnis der transsaturnischen Planeten entstammen.

Arnold Keyserling
Astrologie und Kriteriologie · 1969
Studienkreis KRITERION
© 1998- Schule des Rades
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